Ihr Manuskript legt Klara Geywitz gleich zu Beginn ihrer Gastvorlesung zur Seite. Die Bundesbauministerin spricht frei in der Mehrzweckhalle der Frankfurt College of Utilized Sciences. Es geht bei der Tagung, an der Wissenschaftler und Studenten der Disziplinen Architektur und Stadtplanung aus Frankfurt und Darmstadt teilnehmen, um energiesparendes Bauen. Die SPD-Politikerin positioniert sich so, wie man es angesichts der Diskussion um das viel kritisierte Gebäudeenergiegesetz mit seinen Heizungsvorgaben von einem Mitglied der Bundesregierung nicht erwarten würde.
Ihrer Ansicht nach greift die Fixierung auf den laufenden Energieverbrauch eines Gebäudes, der vor allem von der Heizung verursacht wird, zu kurz. Dieser sei auf die Lebensdauer eines Gebäudes gerechnet nur für die Hälfte der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Die andere Hälfte entfällt auf das Bauen selbst. Geywitz plädiert deshalb dafür, die CO2-Bilanz der verwendeten Baustoffe stärker zu berücksichtigen. „Das würde dazu führen, dass mehr Holz und Recycling-Materials verwendet wird“, sagt sie.
„Vielleicht ist es gar nicht verkehrt, höher zu bauen“
Aber auch den zunehmenden Flächenverbrauch hält sie für ein großes Drawback. Verursacht werde dieses unter anderem durch den anhaltenden Wunsch, in einem Einfamilienhaus zu wohnen. „Wir müssen uns eine Stadtstruktur ausdenken, die nicht immer mehr Fläche verbraucht“, sagt die Ministerin. „Vielleicht ist es gar nicht verkehrt, höher zu bauen.“
Damit allein aber werde das Drawback nicht gelöst, dass der Wohnungsbau derzeit zu teuer ist und nur langsam vorankommt. „Die Produktivität der Bauwirtschaft ist die gleiche wie vor 30 Jahren“, kritisiert die Ministerin fehlende Innovationen. „Wir müssen mit weniger Private mehr bauen.“ Das sei nur mit einem hohen Grad an Vorfertigung im seriellen Bauen möglich. Aber auch die langen Planungsprozesse in Deutschland machen das Bauen ihrer Ansicht nach unnötig teuer.
Angesichts des Mangels an bezahlbarem Wohnraum wirbt Geywitz für den Bau von mehr Sozialwohnungen. „Der Staat muss hierfür einfach das Geld geben“, sagt sie. Zuvor hatte sie sich auf zwei Baustellen in Frankfurt darüber informiert, wie Bauprojekte in Frankfurt konkret umgesetzt werden. Zum Beispiel im Schönhofviertel am Westbahnhof. Dort entstehen derzeit auf dem Baufeld C1 insgesamt 100 Wohnungen, von denen 84 öffentlich gefördert sind. Rund 20 Millionen Euro steuern das Land Hessen und die Stadt Frankfurt bei, um Anfangsmieten zwischen 5,50 Euro und 10,50 Euro professional Quadratmeter zu ermöglichen. Geywitz sah im Schönhofviertel auch das Baufeld für eine sogenannte Hybridschule, für die jetzt die Baugenehmigung erteilt wurde. Es ist das erste Bauvorhaben in Hessen, bei dem eine Schule und Wohnungen in einem Gebäude kombiniert werden.
Eine andere Kind des Wohnens besichtigte Geywitz an der Friedberger Landstraße. Dort errichtete die Wohnbaugenossenschaft Frankfurt in Holzskelettbauweise ein Gebäude mit neun Wohnungen, die sich durch einen flächensparenden Grundriss auszeichnen. Im Erdgeschoss befindet sich eine behindertengerechte Sozialwohnung. Anfang November ist die Gruppe „Gemeinsam suffizient leben“ in den Neubau eingezogen. Geywitz zeigte sich angetan: „Es ist schön zu sehen, dass in diesen schwierigen Zeiten solche innovativen Projekte fertiggestellt werden.“