Die Anzahl der unbearbeiteten Ermittlungsverfahren in NRW ist stark gestiegen. Angesichts der aktuell 120 unbesetzten Stellen bei den Staatsanwaltschaften ist das erwartbar. Der Richterbund warnt vor einer Verschärfung des Personalmangels.
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Riesige Aktenberge mit offenen Verfahren – Alltag bei den Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen. Zum Stichtag Ende März gab es 226.000 unerledigte Ermittlungsverfahren. Damit ist die Zahl der offenen Verfahren binnen zwei Jahren um 34 Prozent gestiegen.
Angesichts der sich türmenden Arbeit bei den Staatsanwaltschaften setzt NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) auf eine rasche Besetzung der offenen Stellen. “Wir haben schon für 2024 zusätzliche Stellen beantragt. Bevor ich das Parlament um weitere Stellen bitte, müssen wir jetzt erstmal die besetzen, die schon da sind”, sagte der Minister. Anfang des Jahres hätte es noch 200 offene Stellen bei der Staatsanwaltschaft gegeben, inzwischen seien “nur noch” noch 120 unbesetzt. Es könnten zwar nicht alle Stellen besetzt werden, beispielsweise wegen Mutterschutzes. 120 offene Stellen seien aber noch deutlich zu viel, so Limbach.
Es sei jedoch nicht mehr so einfach wie früher, die Stellen zu besetzen. Die Justiz konkurriere mit sehr intestine bezahlenden Anwaltskanzleien um die besten Köpfe. “Unsere Anforderungen haben wir schon vor ein paar Jahren etwas gesenkt. Die können wir nicht noch weiter absenken, denn die Qualität der Arbeit wollen wir nicht gefährden”, sagte Limbach gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Die Personalprobleme erklärte der Minister auch mit der Demografie: “Die zahlenmäßig starken Jahrgänge gehen in Pension, schwache Jahrgänge kommen nach.”
Eine Folge des Personalmangels: Entlassungen aus der U-Haft
Der Deutsche Richterbund (DRB), in dem auch die Staatsanwälte organisiert sind, hatte unlängst kritisiert, in NRW fehlten 200 Staatsanwälte. Der DRB sprach von massivem Personalmangel, der sich noch verschärfen werde. Schon 2017 hatte der Richterbund wegen der Arbeitsbelastung der Staatsanwälte Alarm geschlagen. Die andauernde Überlastung und der Personalmangel könnten zu mehr Einstellungen von Verfahren führen, fürchtete der DRB damals. Besonders alarmierend seien Fälle, in denen Beschuldigte wegen überlanger Verfahrensdauer aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen.
Im vergangenen Jahr kamen bundesweit mindestens 73 Menschen aus der Untersuchungshaft frei, weil die Verfahren zu lange gedauert hatten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat klargestellt, dass eine Überlastung der Gerichte keine Haftfortdauer rechtfertigen kann. Verdächtigen dürfe nicht zugemutet werden, nur deshalb einen längeren als den verfahrensangemessenen Haftbefehl in Kauf zu nehmen, weil die Gerichte personell zu schlecht ausgestattet sind (Beschl. v. 23.01.2019, Az. 2 BvR 2429/18).
Der Richterbund warnt bereits seit Jahren vor der anrollenden Pensionierungswelle. Insbesonder im Osten Deutschlands ist die Altersstruktur unter Richterinnen und Staatsanwältinnen wegen des Neuaufbaus nach 1990 ungünstig. Beispielsweise in Sachsen wird laut dem Vorsitzenden des Sächsischen Richterbundes bis 2030 quick jeder zweite in Pension gehen. Die aktuellen Zahlen aus NRW zeigen nun, dass auch westdeutsche Bundesländer massiv von Personalproblemen betroffen sind.
dpa/lfo/LTO-Redaktion
Zitiervorschlag
Personalmangel bei den Staatsanwaltschaften in NRW:
226.000 unerledigte Ermittlungsverfahren
. In: Authorized Tribune On-line,
14.08.2023
, https://www.lto.de/persistent/a_id/52476/ (abgerufen am:
14.08.2023
)