Das Schuljahr 2023/24 beginnt, und wieder dürfte sich so mancher Schulleiter fragen, wie das alles klappen soll: Lehrkräfte fehlen überall. Besonders betroffen sind die Förderschulen, die im Südwesten als SBBZ firmieren, heißt es von der Bildungsgewerkschaft GEW. Auch die Comeniusschule in Waiblingen startet mit einem Minus ins neue Schuljahr – auf dem Papier beträgt der Versorgungsgrad 87 Prozent. Die eigentliche Aufgabe, die Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu fördern, werde sehr erschwert, so Schulleiterin Marlies Friesch.
18 Lehrkräfte für über 100 Schüler
Sie findet kurz vor dem Begin zwar: „Die Lage könnte schlimmer sein.“ Aber die derzeit 18 Lehrkräfte für knapp über 100 Schüler sind eben doch ein paar zu wenig. „Wenn man nicht zu 100 Prozent besetzt ist, kann man nicht 100 Prozent Unterricht machen“, sagt Friesch.
Wenn in den kommenden Wochen oder Monaten Private wegfällt, etwa wegen einer Erkrankung oder einer Schwangerschaft, wird die Lücke noch größer. „Ersatz werden wir nicht kriegen“, meint die Schulleiterin. Die derzeitige 87-Prozent-Versorgung sei bereits nur dadurch möglich, dass Lehrkräfte von anderen Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) nach Waiblingen abgeordnet worden sind. „Da wird auf Ausgleich geachtet“, erkennt Friesch an.
Krankheitstage sind “schwer zu kompensieren”
Nach ihrer Erfahrung passiere aber leider meist etwas, das zu Ausfällen führt. Im Schuljahr 22/23 etwa habe es sehr viele Krankheitstage gegeben, wie an allen Schulen. „Das ist schwer zu kompensieren.“ Eine Herausforderung sei das für die Kollegien bei allen Schularten, sagt Friesch, aber: „Bei uns am SBBZ ist die Beziehung zu den Schülern extrem wichtig.“ Würden Klassen über ein oder zwei Wochen aufgeteilt, da ihre Lehrerin krank ist, bringe das „unglaubliche Unruhe für alle mit sich“, so die Leiterin. Weil in den fremden Klassen die intensive Beziehung fehlt. „Das ist pädagogisch eine große Herausforderung.“
Förderung kommt zu kurz, „das Drumherum macht es schwer“
Generell bedauert Marlies Friesch, dass die SBBZ-Pädagogen zu wenig fördern können, „weil zu viele andere Dinge uns aufhalten. Die Strukturen, das Drumherum macht uns die Arbeit schwer. Mit kleineren Klassen könnten wir ganz anders mit den Schülern umgehen.“ Das sei nicht nur für die Schüler negativ, sondern auch den Lehrkräften fehle das. Sie hätten sich ja bewusst für diese Aufgabe entschieden, weil sie „nah an den Schülern“ sein und deren Entwicklung fördern wollten.
„Die Rahmenbedingungen, die wir haben, machen es immer schwieriger, Leute für den Job zu gewinnen“, so Friesch.
Viel organisatorischer Aufwand
Die besonderen Bedarfe der Comeniusschüler bedeuten auch für die Schulleitung viel organisatorischen Aufwand. Auch dafür ist die Zeit zu knapp, so Marlies Friesch. 17 Schulleitungsstunden professional Woche stehen der Schule zu. Diese teilt Friesch sich mit zwei weiteren Lehrkräften. Zu dritt bilden sie das Schulleitungsteam, wobei elf Leitungsstunden bei ihr liegen. Damit hat die Schulleiterin weniger Stunden professional Woche für das Leiten der Schule zur Verfügung als für den Unterricht, den sie auch noch geben muss: 15 Lehrerwochenstunden. Zusammen ergeben sich die 26 Lehrerwochenstunden, die eine Vollzeitstelle mit sich bringt – hinzu kommen Vorbereitung, Nachbereitung, Elterngespräche und anderes.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Baden-Württemberg hat vor wenigen Tagen darauf hingewiesen, dass besonders an den SBBZ in der Inklusion „immer mehr“ Lehrkräfte fehlten. „An den SBBZ kann der Pflichtunterricht an vielen Schulen nur teilweise stattfinden“, so Landesvorsitzende Monika Stein laut Pressemitteilung. „Schüler/-innen mit Behinderung werden nach Hause geschickt, was ihre Bildungschancen beeinträchtigt und die Familien belastet.”
Flüchtlingskinder bislang nicht aus der Ukraine
Aus der Ukraine vor dem Krieg geflohene Kinder gibt es an der Comeniusschule Waiblingen bislang keine. Laut Schulleiterin Friesch liegt das an einer gewissen Zeitverzögerung: Nach der Ankunft in Deutschland, bei Ukrainern additionally erst ab 2022, besuchen viele Flüchtlingskinder Vorbereitungsklassen an den allgemeinen Schulen. „Erst wenn es Lernauffälligkeiten gibt, kommen sie zu uns.“ Im Fall der Ukrainer könne das noch ein, zwei Jahre dauern, meint Friesch. Nur ein Sort von dort komme jetzt neu ans Waiblinger SBBZ – bei ihm sei der Förderbedarf aber schon im Heimatland festgestellt worden.
Kinder aus Familien, die aus anderen Staaten wie Syrien, Irak oder Iran geflohen sind, sind natürlich auch schon länger an der Comeniusschule zu finden. Marlies Friesch sieht es vor allem als eine Herausforderung für die Schule an, dass viele dieser Kinder unter Traumata leiden, und die Lehrkräfte auch das noch sensibel einbeziehen müssen. Etwaige Verhaltensschwierigkeiten seien aber auch nicht größer als bei den anderen Schülern.
Mit Sorge sieht die Schulleiterin, dass in den kommenden Jahren viele Kolleginnen und Kollegen aus der Child-Boomer-Era – Marlies Friesch selbst gehört auch dazu – in Pension gehen werden. „Wer kommt dann nach?“, fragt sie sich. Ein Patentrezept gegen den Lehrermangel habe sie auch nicht.
„Was wir haben, ist die Liebe zum Beruf, zum Fördern. Deswegen ist es so wichtig, dass das möglich ist.“