Tech-Traits auf dem Finanzplatz
Technologischer Fortschritt und damit einhergehende Traits und Innovationen beeinflussen die Regulierung des Finanzplatzes Schweiz – oder ist es umgekehrt?
Von Technologie getriebene Traits prägen die Weiterentwicklung des Schweizer Finanzplatzes, wobei sie auf unterschiedliche Weise aufgegriffen und behandelt werden. Das erstaunt nicht, weil der Anstoss zu Regulierung oder ihrer Anpassung von unterschiedlicher Seite kommt und unterschiedliche Ziele verfolgt werden.
So lag der Gesetzgebung für die Distributed Ledger Expertise (DLT) der Gedanke zugrunde, für die technologischen Entwicklungen rund um Blockchain einen Rechtsrahmen zu schaffen und damit die Foundation für eine nachhaltige Entwicklung des Potenzials innerhalb eines stabilen regulatorischen Rahmens zu erlauben.
Der Erfolg der DLT-Gesetzgebung ist unbestritten. Nahezu jeder Vermögenswert kann rechtssicher tokenisiert und – so das Versprechen der Technologie – für jeden zugänglich, sicher und effizient gehandelt werden. Der für die Entfaltung dieses Ökosystems notwendige tokenisierte Franken sowie regulierte Handelsplätze sind im Entstehen. Das DLT-Gesetz hatte auch grosse Signalwirkung im Ausland und führte dazu, dass viele ausländische Projekte sich für die Ansiedlung in der Schweiz interessierten.
Risiko für Standortvorteil
Trotzdem droht die Schweiz ihren Vorsprung auf diesem Gebiet einzubüssen. Mit der Verordnung über Markets in Crypto Belongings (Mica) schafft die EU einen einheitlichen Markt mit 470 Mio. Einwohnern, der gegen aussen weitgehend abgeschottet ist. Mica sieht auch schlanke Bewilligungsverfahren für Kryptodienstleister mit teilweise sehr kurzen Verfahrensfristen vor, mit denen die Finma nicht mithalten kann.
«Schweizer Unternehmen können von den neuen technologischen Möglichkeiten, die KI eröffnet, profitieren, ohne auf den Gesetzgeber zu warten, solange sie dabei die Gesetze respektieren.»
Eine unreflektierte Übernahme der Basler Requirements für die Eigenmittelunterlegung von Kryptovermögenswerten durch Banken sowie die neue Finma-Praxis zum Staking würden weiter zum Verlust des hart erkämpften Standortvorteils führen, ohne dass für die Stabilität des Finanzplatzes oder den Schutz seiner Kundschaft etwas gewonnen würde. Es bleibt zu hoffen, dass das grosse Engagement von Branchenverbänden, einzelnen Instituten oder auch dem erst kürzlich vom Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) ins Leben gerufenen Swiss Monetary Innovation Desk in diesem Bereich Früchte tragen wird.
Eine andere Dynamik besteht in Zusammenhang mit einer der vielleicht mächtigsten technologischen Entwicklung unserer Zeit, der künstlichen Intelligenz (KI). Die Schweiz hat – anders als die EU – keine Pläne, sie spezialgesetzlich zu erfassen. Diese Haltung gerät zunehmend unter Druck, wie viele Vorstösse im Parlament zeigen. Auch wenn der Einsatz von KI zu neuartigen rechtlichen Fragestellungen führt: KI findet keineswegs in einem rechtsfreien Raum statt, und der erfolgreiche, technologieneutrale Ansatz der Schweizer Regulierung darf nicht ohne Not aufgegeben werden.
KI im Finanzsektor
Schweizer Unternehmen können von den neuen technologischen Möglichkeiten, die KI eröffnet, profitieren, ohne auf den Gesetzgeber zu warten, solange sie dabei die Gesetze respektieren. Bereits gibt es konkrete Anwendungsfälle aus dem Finanzsektor, wie beispielsweise Banken, die ihre Systeme zur geldwäscherechtlichen Überwachung der Finanztransaktionen mit Techniken künstlicher Intelligenz ergänzen, um den manuellen Aufwand zur Abklärung auffälliger Transaktionen zu reduzieren und damit bedeutende Effizienzgewinne zu erreichen.
Auch in der Finanz- bzw. der Anlageberatung werden Kombinationen von probabilistischen Giant Language Fashions wie ChatGPT mit traditionellen regelbasierten Systemen getestet. Es konnte aufgezeigt werden, dass solche Modellkombinationen die Vorteile beider Ansätze verbinden und so entwickelt werden können, dass sie den Finanzmarktgesetzen entsprechen. Der technische Fortschritt erlaubt es, die spezifischen Risiken, die der Einsatz von KI mit sich bringt, wie dasjenige von Bias oder einen Mangel an Nachvollziehbarkeit (Black-Field-Thematik), angemessen zu erfassen.
Wie bereits in der DLT-Gesetzgebung wird die Schweiz zu gegebener Zeit auch für den Einsatz von KI sektorspezifische und punktuelle Anpassungen ihrer Gesetze vornehmen, wo sich dies als nötig und zweckmässig erweist. Zu denken ist in diesem Zusammenhang beispielsweise an Regeln zur Transparenz oder auch im Bereich der Produkthaftung. Bereits geschehen ist dies etwa im Rahmen der Revision des Datenschutzgesetzes mit Blick auf die Durchführung von automatisierten Einzelentscheidungen.
Für ein integriertes Finanzökosystem
Schon älter sind die (regulatorischen) Entwicklungen im Bereich von Open Finance. Unter anderem zur Förderung des unter diesem Begriff zusammengefassten Datenaustauschs zwischen Banken, Versicherern und Drittunternehmen hat die EU bereits vor Jahren die zweite Zahlungsdienstrichtlinie (PSD II) erlassen und in einigen spezifischen Bereichen die Innovation durch Regulierung vorangetrieben.
In der Schweiz hat sich die Ansicht durchgesetzt, ein marktgetriebener Ansatz würde die besseren, kundenorientierteren Resultate hervorbringen. Dies trifft besonders für die Entwicklung der für den sicheren Datenaustausch notwendigen technologischen Grundlagen, der Software Programming Interfaces (API), zu. Die API-Standardisierung in der Schweiz wird unter der Koordination des Fachverbands Swiss FinTech Improvements (SFTI) für verschiedene Anwendungsfälle vorangetrieben, darunter Zugang zu Konten, Zahlungen, Vermögen und Hypotheken.
Auch die Schweizer Banken engagieren sich nach anfänglicher Zurückhaltung aktiv für ein offeneres und integriertes Finanzökosystem. So wurden Projekte wie Multibanking für Privatkunden unter der Koordination der Bankiervereinigung oder Open Pension von Mitgliedern von SFTI lanciert bzw. neu aufgelegt.
Stability bewahren
Derweil unterstreicht die Schweizer Regierung ihren Willen, diese Entwicklungen voranzutreiben. Sie hat das EFD beauftragt, bis Juni 2024 Massnahmen vorzuschlagen, falls sich die Finanzbranche nicht genügend für die Öffnung ihrer Schnittstellen bzw. den gewünschten Datenaustausch einsetzt. Aber auch die EU schläft in der Zwischenzeit nicht. So liegen bereits Vorschläge für eine Anpassung der PSD II sowie eine Verordnung über einen Rahmen für den Zugang zu weiteren Finanzdaten (Fida) vor.
Technologische Neuerungen und damit einhergehende Traits haben – gerade auf dem streng regulierten Finanzmarkt – grossen Einfluss auf die Regulierungstätigkeit, da ständig zu prüfen ist, ob Anpassungen am aktuellen Rahmen notwendig sind, um Innovationen zuzulassen, gleichzeitig aber die Stabilität und die Sicherheit des Finanzplatzes sowie den Schutz seiner Teilnehmer zu erhalten. Umgekehrt kann Regulierung auch zu Innovation führen. Letzteres dürfte wohl besonders dort zutreffen, wo Rechtsunsicherheiten, Machtgefälle oder auch strukturelle Unterschiede zwischen den Marktteilnehmern – zu denken ist an den Markteintritt sogenannter Large-Tech-Unternehmen – zu einer Starre führen, die den (Improvements-)Wettbewerb auf dem Finanzplatz hemmt.
Die Stability zu halten, erfordert nicht nur Geschick und eine Portion Mut, sondern Interesse und Know-how sowohl im Bereich des traditionellen Finanzmarktes wie auch der technologischen Entwicklungen. Dafür ist der Austausch zwischen den Disziplinen sowie zwischen Behörden und Industrie zentral.
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