Im Juni 2023 zirkulierte ein Brandbrief, der parteiübergreifend von
allen Bezirksbürgermeisterinnen und -bürgermeistern Berlins
unterschrieben wurde, in der Hauptstadtpresse. Den Bezirken, die sich
in Berlin vor allem über Geldzuweisungen des Landes finanzieren,
mangelt es an Mitteln. Es fehlten mindestens 250 Millionen Euro, um
den Established order aufrechtzuerhalten. Um den bekanntermaßen desolaten
Zustand der öffentlichen Verwaltung in Berlin zu beheben, bräuchte
es noch viel mehr.
Zwar
stellte das Land den Bezirken daraufhin zusätzliche 100 Millionen
Euro zur Verfügung, doch damit ist das Downside der strukturellen
Unterfinanzierung längst nicht gelöst. Die hohe Inflation ist nur
ein Grund für die Misere. Auch die neoliberale Neuordnung der
Verwaltung im Rahmen des »Neuen Steuerungsmodells«, das
Managementtechniken der kapitalistischen Privatwirtschaft in die
öffentliche Verwaltung eingeführt hat, sorgt systematisch dafür,
dass Geldzuweisungen des Landes an die Bezirke möglichst gering
ausfallen. Auf der Strecke bleibt dabei die Qualität der staatlichen
Dienstleistungen. Die Interessen der Bürgerinnen und Bürger zählen
in diesem Modell wenig.
Staatliche
Dienstleistungen kommen oft eher den unteren Einkommensgruppen
zugute, additionally insbesondere der Klasse der Lohnabhängigen und den
kleinen Selbstständigen. Infolge des Spardrucks müssen
Beratungsstellen, Familienzentren und Jugendfreizeiteinrichtungen
schließen und die Menschen immer länger auf Termine beim Jobcenter
und bei Ämtern warten. Die Ämter, speziell im Jugend- und
Gesundheitsbereich, sind überlastet, die Beschäftigten in den
Bezirken werden im Vergleich mit der Landes- oder Bundesverwaltung
deutlich schlechter bezahlt und staatliche Aufgaben werden breit in
die sogenannte freie Trägerlandschaft outgesourct, wo vielfach
prekäre Beschäftigungsbedingungen herrschen. So spüren die
Bürgerinnen und Bürger Berlins sowie die Beschäftigten im
Öffentlichen Dienst tagtäglich die Folgen dieser Reformen. Und das,
auch wenn die Bezirke rein rechnerisch constructive Haushaltsabschlüsse
aufweisen.
Das neoliberale Modell
»New
Public Administration« bezeichnet eine Strömung innerhalb der
Verwaltungswissenschaften, die eine neoliberale Reform der Verwaltung
anstrebte. Die Maßnahmen, die sie vorschlug, umfassen
Privatisierung, mehr »Eigenverantwortlichkeit« von
Verwaltungseinheiten, die Einführung von Wettbewerbselementen in das
Verwaltungshandeln sowie die Übernahme privatwirtschaftlicher
Managementmethoden in den Öffentlichen Sektor. Das New Public
Administration forderte weniger Staat und mehr betriebswirtschaftliche
Instrumente aus der kapitalistischen Unternehmensführung und conflict
damit eine tragende Säule des weltweiten neoliberalen
Gesellschaftsprojektes. Die Schlagworte lauteten damals
»Modernisierung« oder »Effizienz« und »Ressourcenschonung«, ja
sogar »Kundenorientierung« – der Staat arbeite ineffektiv und
verschwenderisch und müsse sich mehr an der angeblichen Effizienz
der privaten Kapitalinitiative orientieren.
Die
deutsche Variante dieses Reformprogramms, das »Neue
Steuerungsmodell« (NSM), wurde von der damaligen
Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGst)
entwickelt. In (West-)Berlin, so der Stadt- und Regionalsoziologe
Henrik
Lebuhn, arbeitete man ab 1984 daran, dieses
neoliberale Reformprogramm umzusetzen. »Alle zentralen Elemente des
NSM« wurden ihm zufolge ab den 1990er Jahren nach und nach in ganz
Berlin eingeführt. Hinter den Forderungen nach effizienterer
Verwaltung versteckte sich dabei das banale Interesse des Kapitals an
niedrigeren Steuern und neuen Investitionsmöglichkeiten.
Mit
den Staatsausgaben sanken immer auch die Steuern für Unternehmen und
Reiche. Gleichzeitig wurden Teile der Daseinsfürsorge durch
Privatisierung und Teilprivatisierung der demokratischen Kontrolle
entzogen und Profitinteressen von privaten Investoren unterworfen.
Rund 150.000
landeseigene Wohnungen und über 3.000
landeseigene Grundstücke wurden verkauft, die
Berliner
Wasserwerke und das städtische
Energieversorgungsunternehmen Bewag
privatisiert.
Entpolitisierte
Sparvorgaben
Eine
besondere Rolle in diesem Reformprogramm spielt die
Kosten-Leistungs-Rechnung. Sie entscheidet, wie die Gelder, die das
Land Berlin insgesamt bereitstellt, auf die einzelnen Bezirke
verteilt werden. Wie die Haushalte der Bezirke zustande kommen, ist
komplex und kaum politisiert. Von außen betrachtet erscheint die
sogenannte Budgetierung vor allem als bürokratisch-technischer Akt.
So wurde die politische Entscheidung des Berliner Senats, ein
neoliberales Sparprogramm für die Bezirke durchzusetzen und
politische und finanzielle Spielräume zu begrenzen, in einen
vermeintlichen Sachzwang verwandelt.
Die
Senatsverwaltung für Finanzen schreibt den Haushalt auf Grundlage
der Ausgaben aller zwölf Bezirke aus dem vorletzten Jahr fort,
verbunden mit Annahmen zu erwarteten Kostenentwicklungen. Die so
errechnete Summe, die auch die Einsparungen der Vorjahre mit
fortschreibt, nennt sich Bezirksplafonds. Schon hier lassen sich auch
Entscheidungen treffen, wie man die Ausgaben der Bezirke durch
technische Argumentationen nach drücken kann, zum Beispiel, indem
der Ausgleich der Inflation, wie im Entwurf im Sommer 2023, zu
niedrig angesetzt wird. Sollen die Bezirke aus Sicht des Berliner
Senates sparen, so legt dieser einfach einen möglichst knappen
Bezirksplafonds vor. Die »Eigenverantwortlichkeit«, die Neoliberale
stets hochhalten, heißt dann in der Praxis, dass Kommunen wie die
Berliner Bezirke eigenverantwortlich entscheiden müssen, wo sie
kürzen wollen, um zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen.
Künstliche
Konkurrenz
Anders
als viele andere Kommunen in Deutschland haben die Berliner Bezirke
keine eigenen Steuereinnahmen und dürfen keine Schulden aufnehmen.
Mangelt es ihnen an Geld, bleibt ihnen keine andere Wahl, als
Sparmaßnahmen zu treffen. In Zeiten knapper Mittel kürzen Kommunen
in der Regel zuerst bei den »freiwilligen Leistungen«, die nicht zu
ihren Pflichtaufgaben gehören, additionally bei Bildung, Sozialem, im
Jugendbereich, sowie bei Investitionen.
Damit
die Bezirke einen zusätzlichen Sparanreiz haben und sich nicht gegen
den Berliner Senat verbünden, werden die Zuweisungen des Landes über
eine künstlich herbeigeführte Konkurrenz gesteuert. Dem
ehemaligen Staatssekretär und Bezirksstadtrat für Finanzen
Jens-Peter
Heuer zufolge betrifft das ungefähr zwei Drittel der
Geldzuweisungen des Landes. Nicht die Bedarfe nach staatlichen
Dienstleistungen sind Grundlage für die Zuweisungen – so wie es
vor den Reformen des NSM conflict – sondern die Abschlussergebnisse der
Kosten- und Leistungsrechnungen der einzelnen Bezirke.
Dafür
werden sogenannte »Produkte« definiert und ihre
Bereitstellungskosten in den verschiedenen Bezirken verglichen. Die
Ausstellung eines Personalausweises, der Besuch einer
Jugendfreizeiteinrichtung oder die Verwaltungskosten für
Hilfszahlungen sind Beispiele für solche Produkte, derer es Hunderte
gibt. Bezirke, die ihre jeweiligen Produkte unter dem
Durchschnittspreis »produzieren«, werden durch höhere Zuweisungen
belohnt, während teurere Bezirke durch niedrigere Zuweisungen
bestraft werden.
So
hat jede Verwaltungsstelle ein Interesse daran, möglichst effizient,
additionally auf dem Papier billig, die geforderten Leistungen zu erbringen.
Die kostengünstig wirtschaftenden Bezirke setzen den Customary –
auch bei der Qualität der Leistung. Zwar produziert diese künstliche
Konkurrenz kurzfristig auch Gewinner, aber die Bezirke, die »intestine
wirtschaften« und die Kosten für einzelne Produkte erfolgreich nach
unten drücken, tragen damit indirekt auch zur Verknappung der zu
verteilenden Mittel in den nächsten Haushalten bei. Sinken die
Ausgaben für Produkte im Durchschnitt, dann sinken auch die
Zuweisungen des Landes. So wird der Kostendruck auf die Bezirke
stetig aufrechterhalten.
Beschäftigte
bleiben auf der Strecke
Einsparmöglichkeiten,
um unter den Durchschnitt zu kommen, gibt es viele. Zum Beispiel
können die Bezirke trotz Tarifverträgen im Öffentlichen Dienst
beim Private sparen, indem sie ihre Mitarbeitenden in möglichst
niedrige Tarifgruppen einsortieren oder den Personalschlüssel zur
Erfüllung von Aufgaben knapphalten. Im Zeitraum zwischen 1991 und
2011 wurden insgesamt 54 Prozent des Personals in den
Bezirksverwaltungen durch verschiedenste Maßnahmen abgebaut.
Eine
beliebte Methode, Kosten zu drücken, die längst nicht nur die
Bezirke für sich entdeckt haben, ist das Outsourcing von staatlichen
Aufgaben an Dritte. Von Jugendfreizeiteinrichtungen über
Flüchtlingshilfe zu Beratungsstellen ist dadurch ein riesiger
Arbeitsmarkt prekär Beschäftigter bei den »freien Trägern«
geschaffen worden. Diese Beschäftigten haben deutlich ungünstigere
Arbeitsbedingungen als die ohnehin oft bereits schlecht bezahlten
Beschäftigten in der Bezirksverwaltung. Bei den meisten sozialen
Trägern gibt es keine oder nur niedrige Haustarifverträge und im
Gegensatz zum Öffentlichen Dienst kaum gewerkschaftliche Vertretung
oder Betriebsräte.
Die
freien Träger konkurrieren zudem untereinander um staatliche
Finanzierung. Das drückt wiederum die Kosten, zu denen die
jeweiligen Dienstleistungen bereitgestellt werden. Und wieder leiden
darunter letzten Endes die Beschäftigten dieser Träger. Dazu kommt,
dass bei knappen Haushalten die so finanzierten Projekte jene
Verfügungsmasse sind, an der sich besonders flexibel kürzen lässt.
Da nach jedem Haushaltsplan Änderungen vorgenommen werden, wissen
die Beschäftigten in der freien Trägerlandschaft dabei oft nicht,
ob sie im nächsten Jahr überhaupt noch einen Job haben.
Ein
Mittel im Klassenkampf
Dieser
technische Ablauf verschleiert die politische Entscheidung, die
hinter dem Finanzierungssystem steht. Während die Bundes- und
Landesregierungen Sparmaßnahmen am Staat vornahmen, senkten nämlich
die Bundesregierungen unter SPD, CDU, Grünen und FDP zugleich die
Steuern auf hohe Einkommen, etwa indem sie die Abgeltungssteuer
einführten, die Einkünfte aufgrund von Kapitalbesitz gegenüber der
Lohnarbeit steuerlich privilegiert, oder die Körperschaftssteuer von
Unternehmen reduzierten. Die Abschreibungsmöglichkeiten für das
Kapital, die Christian Lindner in der Ampel-Regierung durch das
sogenannte Wachstumschancengesetz durchgesetzt hat, ist ein jüngeres
Beispiel dafür, wie Kosten für die »Entlastung« von Unternehmen
und Reichen unmittelbar
auf die Kommunen abwälzt werden.
Von
der im NSM beschworenen fiskalischen Disziplin profitieren die, die
von staatlichen Leistungen mit breiter Wirkung nichts, aber von ihrer
Beschneidung viel zu erwarten haben. Das Kapital ist in der
Regel an möglichst niedrigen Staatsausgaben interessiert. Das
Hauptziel der Verwaltungsneuordnung des NSM bestand darin, Kosten zu
drücken und die Debatte über die Probleme der Kommunen von der
Einnahmenseite – Steuern und Abgaben – auf die Ausgabenseite zu
verschieben. Dabei erkennt man zwar an, dass staatliche Ausgaben
unvermeidbar sind, da sie für den sozialen Frieden und damit die
Aufrechterhaltung des kapitalistischen Established order notwendig sind. Die
Kosten dafür sollen jedoch möglichst gering gehalten werden.
Indem
die Neuorganisation der Kommunen nach dem NSM anstelle politischer
Entscheidungen (die man immerhin noch abwählen könnte)
betriebswirtschaftliche Regeln setzt, fügt sie sich ein in einen
allgemeinen Development zur Umverteilung von Unten nach Oben und zur
weiteren Entdemokratisierung des Staates. Die Reformen in
den Kommunen sind ein Instrument des Klassenkampfes, um die Kosten
für die Reproduktion der Gesellschaft vom Kapital auf die
Beschäftigten in der Verwaltung und bei den freien Trägern
abzuwälzen und auch gegen sich ändernde politische Mehrheiten
abzusichern, dass die staatlichen Ausgaben sich auf das »Nötigste«
beschränken. Die neoliberale Organisation der lokalen öffentlichen
Verwaltung läuft den Interessen der Lohnabhängigen und kleinen
Selbstständigen – und damit dem Interesse der breiten Mehrheit der
Bevölkerung – diametral entgegen. Und Berlin ist leider nur ein
Beispiel unter vielen.